Ohne das richtige Papier ist alles nichts:

Neue (und alte) An- und Verwendbarkeitsnachweise 

Dipl.-Ing. Karl-Olaf Kaiser

Kaum ein Thema ist für Architekten, Fachplaner, Bauüberwacher und ausführende Unternehmer so komplex, wie „der Papierkrieg“, der spätestens am Ende einer Baumaßnahme kurz vor den Abnahmen ins Haus steht.

Die komplexe Systematik der erforderlichen Dokumente und Rahmenbedingungen sowohl für die europäischen Bauprodukte und Bausätze als auch die nationalen Bauprodukten und Bauarten ergeben sich aus ca. 15 Paragraphen der Muster-Bauordnung und der umfangreichen Muster-Verordnung Technische Baubestimmungen (MVV TB). Insbesondere dieses Dokument ist für das grundsätzliche Verständnis des Sachverhaltes maßgebend. Analog gilt dies für die sechszehn Bundesländer mit ihren jeweiligen Landesbauordnungen und entsprechenden landesspezifischen Verwaltungsvorschriften für Technische Baubestimmungen. Vor allem die MVV TB (genau wie die früher geltenden Bauregellisten) unterliegt einer ständigen – quasi jährlichen – Fortschreibung und Aktualisierung durch den Gesetzgeber. Die aktuelle Fassung der MVV TB 2019/1 vom 07.08.2020 wurde am 15.01.2020 durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) veröffentlicht und ist bereits schon in verschiedenen Bundesländern zwingend durch die am Bau Beteiligten zu beachten, z.B. in Niedersachsen als landesspezifische VV TB (seit dem 11.08.2020). Der Entwurf der allerneusten Fassung der MVV TB ist – um im Bilde zu bleiben – brandheiß und steht der Öffentlichkeit bis zum 25.10.2020 für einen kurzen Zeitraum zur Anhörung zur Verfügung. Gerne sendet Ihnen der Referent (Kontakt siehe oben) eine elektronische Fassung dieses Dokuments zu.

Seit den frühen 2000er sind die am Bau Beteiligen auf den Baustellen – und natürlich auch schon in der Planung und Ausschreibung – neben den nationalen An- und Verwendbarkeitsnachweisen mit europäischen „Verwendbarkeitsnachweisen“ gemäß der Bauproduktenverordnung konfrontiert. Die Bauproduktenrichtlinie, die 1989 als „weit entferntes Raumschiff“ für Bauprodukte in Brüssel startete, ist seit 2013 als Bauproduktenverordnung heutzutage im Bausektor allgegenwärtig und auch in ganz Deutschland „gelandet“.

Im Bereich der Bauprodukte wird die überwiegende Zahl von Bauprodukten inzwischen jeweils von einer harmonisierten Europäischen Norm (hEN) erfasst und muss daher durch die jeweiligen Hersteller obligatorisch mit einer CE-Kennzeichnung versehen werden. Vorher müssen sie eine Leistungserklärung abgegeben haben. Und genau die „dürfen“ die am Bau Beteiligten von den ausführenden Unternehmen für die Bauherrschaft einsammeln, um den Anforderungen der jeweiligen Bauordnung gerecht zu werden. Denn mit Einführung der Muster Bauordnung 2002 in der Fassung vom 13.05.2016 ist in § 53 geregelt: „Der Bauherr hat (…) die zur Erfüllung der Anforderungen dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes erforderlichen Nachweise und Unterlagen zu den verwendeten Bauprodukten und den angewandten Bauarten bereitzuhalten. Bei Bauprodukten, die die CE-Kennzeichnung nach der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 tragen, ist die Leistungserklärung bereitzuhalten.“

Welche europäischen Bauprodukte und/oder Bausätze von dieser Systematik genau erfasst sind, können Architekten, Fachplaner, ausführende Firmen und schlussendlich die Bauherrschaft – als unverbindliche Auflistung – auf der Internetseite des DIBt finden. Denn leider werden seit Juni 2019 im Amtsblatt der EU die konsolidierten Listen von harmonisierten Europäischen Normen (hEN) nicht mehr bekannt gemacht. Die Europäische Kommission publiziert die Fundstellen der hEN mittels einzelner Rechtsakte in der Reihe L des Amtsblatts der EU.

Zu den insgesamt komplexen Sachverhalten der europäischen und nationalen Verwendbarkeitsnachweise ist spätestens seit 2013 mit Einführung der BauPVO als auch seit 2016 mit Publizierung der MBO Fassung 2016 viel Neues – und glücklicherweise auch Bekanntes – zu beachten. Die am Bau Beteiligten sollten sich daher zu diesen – leider nicht trivialen – Themen stets auf dem Laufenden halten. Denn am Ende gilt es: Das richtige Papier aus der Tasche zu ziehen.

Literaturempfehlung:

Gädtke, Johlen, Wenzel, Hanne, Kaiser, Koch, Plum: BauO NRW Kommentar (13. Auflage 2019), Werner Verlag

DIPL.-ING.

Karl-Olaf Kaiser

Brandschutzconsultant und –planer (Frankfurt a.M.), Autor u.a. „Brandschutztechnische Bauüberwachung Haustechnik“,  Länderdossier „Brandschutz in China“ (deutsch & engl.), Mitautor Gädtke Kommentar BauO NRW 2024, Referent für Brandschutz u.a. EIPOS, VDI, UTech und Caribbean School of Architecture, Jamaica.